
Food Pairing, eine Revolution des Geschmacks?
Schokolade mit Röstzwiebeln: Dank Food Pairing scheint alles möglich. Aber ist das neu oder hat man als Koch nicht schon immer mit Aromen experimentiert? Zusammen mit Prof. Thomas Vilgis, einem Physiker mit Geschmack, schauen wir deshalb hinter die Kulissen des Trendbegriffs.
Food Pairing ist in aller Munde. Doch jetzt mal ‚Butter bei die Fische’: Was steckt eigentlich hinter dieser großen Aromen-Lehre? Und wie lässt sich der Food Trend in der Großküche umsetzen? NESTLÉ PROFESSIONAL sprach hierzu mit Prof. Thomas Vilgis, der das Thema seit Jahren erforscht.
Aroma-Experte Prof. Thomas Vilgis
Thomas Vilgis ist Physiker am Max-Planck-Institut für Polymerforschung und Fachmann für die molekularen Eigenschaften von Lebensmitteln. Als Autor und Referent blickt er aus der wissenschaftlichen Perspektive auf Aromen in der Küche.
Thomas Vilgis ist ein Physiker mit Geschmack und die Welt der Aromen sein Fachgebiet. Eine Kompetenz wie geschaffen für das Food Pairing. „Denn eigentlich müssten wir vom Aroma Pairing sprechen“, erklärt der Wissenschaftler. Im Kern ginge es nämlich darum, Lebensmittel mit einem Profil von Aromen zu beschreiben. Ein Vorteil: Mögliche Harmonien und Kontraste lassen sich besser vorhersagen. „Dadurch greift man als Koch vielleicht zu Lebensmitteln, die auf den ersten Blick nicht zusammen in einem Topf gelandet wären.“
Den Aromen auf der Spur: Kochen nach Algorithmus?
Das klingt einfach. Versucht man sich aber selbst in wissenschaftlich fundiertem Food Pairing, stößt man schnell an seine Grenzen. Eine große Herausforderung: die Menge der unterschiedlichen Aromen. Während die fünf Geschmacksrichtungen einfach zu identifizieren sind, spricht man von insgesamt über 10.000 Aromen. Wie soll man dabei den Überblick bewahren? „Am besten auf die genuinen, fundamentalen Schlüsselaromen konzentrieren“, empfiehlt Thomas Vilgis. Davon gäbe es nur etwa 230. Sie stechen besonders hervor und bestimmen das Aromen-Profil einer Zutat. Als Orientierungshilfe dient dabei der Geruch einer Zutat. Während nämlich der Geschmack auf der Zunge identifiziert wird, entfalten Aromen in der Nase ihre ganze Kraft. „Das können Sie ganz einfach testen. Zimt probieren und dabei die Nase zuhalten“, so Vilgis. Das Pulver würde dann nur noch flau schmecken.
Aber der Aroma-Experte geht noch einen Schritt weiter. Er vereinfacht das System noch einmal deutlich, indem er die Schlüsselaromen in sieben Gruppen zusammenfasst:
Aromagruppen
- Gruppe 1: fruchtig, säuerlich
- Gruppe 2: schwefelig
- Gruppe 3: blumig, frisch
- Gruppe 4: zitrusartig, kräuterig
- Gruppe 5: holzig, herb
- Gruppe 6: vanilleartig, rauchig
- Gruppe 7: würzig, zimtartig
- Gruppe 8: röstartig, erdig
Aromagruppen gemäss ihrer strukturellen Eigenschaften und ihrer groben Duftrichtung (links). Beispiele wichtiger Duftstoffe, die zu den Schlüsselaromen gehören (rechts). Trigeminale Reize auf der Zunge, Geschmack und geschmacksmodulierende Reize werden vor allem durch schwer bzw. nicht flüchtige, polare Verbindungen ausgelöst.
Aus 10.000 Einzelaromen werden sieben übersichtliche Gruppen. Wie ist das möglich? „Die Aroma-DNA“ – raunen Fachleute für gewöhnlich als Erklärung. Oder anders gesagt: Ein Kern von Grundbausteinen (Wasser, Kohlenhydrate, Fett und Protein), der sich ganz flexibel immer wieder neu zusammensetzt. Gesteuert wird dieser Prozess von einer „Entwicklungsgeschichte“, die jedes Aroma in sich trägt – die DNA. Bei Pflanzen sind Wachstum, Reifung und Fermentation die entscheidenden Faktoren. Bei Tieren bestimmen dagegen Fütterung, Zucht und Haltung die Entwicklungsgeschichte und damit das Aroma.
Die Grundformel:
Ähnliche Zusammensetzung + ähnliche Entwicklungsgeschichte = ähnlicher Geschmack
Beispiel: Food Pairing mit fruchtig-säuerlicher Note
Beispiel: Gurke, Wassermelone, Borretsch, roher Fisch und Olivenöl – ein Genuss in Veilchenaldehyd
Gurke, Wassermelone, Borretsch, roher Fisch und Olivenöl – so unterschiedlich und doch verwandt. Denn im Labor untersucht, zeigen sie alle eine ähnliche Zusammensetzung der Grundbausteine. Diese formen den Riechstoff „Veilchenaldehyd“, auch „Gurkenaldehyd“ genannt, der das fruchtig, säuerliche Aroma der Gruppe 1 maßgeblich bestimmt. Dies ist das „Pairing“. Fisch geräuchert, gebraten oder gegrillt liefert Aromen aus anderen Gruppen. Sie wirken als „Completing“ bzw. als Kontrast. Erst dadurch wird der Teller spannender und kontrastreicher.
Beispiel: Das Aromaschema in Anwendung. Alle Zutaten weisen Moleküle aus der ersten Gruppe auf, in diesem Fall die grünen Aromen. Der Fisch fügt noch leicht schweflige Aromen hinzu, ansonsten wäre der Raum zwischen der obersten Aromaschiene und der Geschmacksbasis leer. Erst zum Beispiel die Verwendung von geräuchertem (Aromate aus dem Rauch) mit Anis gewürztem (Phenylderivate aus dem Anis) oder gar gebratenem Fisch (heterozyklische Röststoffe) bringt deutliche Kontraste aus anderen Aromagruppen (gestrichelt umrandete Bereiche). Dadurch entsteht mehr Spannung.
Zu viel Theorie? Bitte, es geht auch ganz handfest:
Praxistipp von Prof. Thomas Vilgis:
„Beim Food Pairing ist es wie so oft: Kleiner Trick, große Wirkung. Um etwa eine Tomatensauce schnell aufzupeppen, empfehle ich, ein wenig Orangenschalen in die Sauce zu reiben. Das verleiht der Sauce eine besonders fruchtige Note.“
Der Koch als Dirigent der Aromen
Also einfach eine Speise aus Lebensmitteln mit den gleichen Schlüsselaromen herstellen und schon hat ein köstliches Gericht? Nicht ganz. Denn Food Pairing nach Schema F, das funktioniert nicht. Schließlich kommt noch eine weitere Variable hinzu: der Gast. Und der lässt sich nicht so einfach ‚berechnen’. „Beim Food Pairing ist neben der passenden Kombination auf dem Teller ebenfalls entscheidend, wie der Gast die Zutaten auf seiner Gabel mischt“, so Vilgis. Also alles auf Anfang? Weit gefehlt. Zum Glück kennt der Aroma-Experte ein paar Kniffe für die Profiküche.
Viel Brokkoli, wenig Champignons – wenn der Gast im Essen stochert
Beispiel: So unterschiedlich kann ein Portionslöffel desselben Gerichts aussehen.
Je nachdem wie der Gast also Brokkoli, Champignons, Tomaten-Zimt-Anis-Biskuit und Sauce auf dem Portionslöffel mischt, entsteht ein ganz anderer Geschmack. Das könnte Ihnen bekannt vorkommen. Zum Beispiel aus einer erfolgreichen Kochshow im Fernsehen. Dort richten die Kandidaten ihre Speisen auf einem Portionslöffel an und präsentieren sie der Jury. Ein gutes Konzept. Denn so kommen die Zutaten genau in der richtigen Menge zu den Juroren. In der Profiküche hat man diesen Luxus häufig nicht. Die ideale Kombination der Bestandteile lässt sich ein Gast nur schwerlich vorschreiben. Thomas Vilgis empfiehlt deshalb: „Versuchen Sie möglichst viele Kombinationen im Vorfeld durchzuspielen. Das gibt Ihnen einen Überblick darüber, ob das Gesamtbild auf dem Teller auch bei unterschiedlichen Gästen stimmig bleibt.“
Schluss mit Harmonie: Tipps für mehr Kontraste
Gekonnt eingesetzt, bilden Lebensmittel mit gemeinsamen Schlüsselaromen ein harmonisches Gericht. Aber wie in jeder guten Beziehung kann zu viel Harmonie auf Dauer eintönig sein. Wie entsteht also Abwechslung auf dem Teller? Hier ist die Kreativität des Kochs gefragt. „Häufig reicht es bereits, die Art der Zubereitung zu ändern und wie in unserem Beispiel anstatt rohen Fisch geräucherten Fisch zu servieren. Schon hat man ein neues Kontrast-Aroma“, empfiehlt Thomas Vilgis. Mit Kontrast-Aromen lassen sich ganz einfach Akzente setzen, ohne das Gesamtbild zu zerstören.
Praxistipp von Prof. Thomas Vilgis:
„Für echte Geschmackserlebnisse empfehle ich Warm-Kalt-Kontraste selbst in der Zubereitungsart einzuplanen. Zum Beispiel Chili im Eis oder Menthol in heißen Speisen. Das stimuliert den Trigeminusnerv in der Zunge.“
Schon mit einer kleinen Auswahl an Kräutern und Gewürzen kann ein kulinarisch relevanter Temperaturbereich abgedeckt werden.
Aromen und Textur: Die Bedeutung des Gesamtkonzepts
Nun hat man also eine perfekte Speise mit einer stimmigen Aromakombination kreiert. Trotzdem kann das Aromabild in sich zusammenfallen. Wie ist das möglich? „Aromen verändern sich ständig“, so Vilgis. Viele Köche kennen das aus der Praxis. Kocht man eine Sauce länger, wird sie nicht nur dickflüssig, sondern auch intensiver im Geschmack. Ähnliches passiert durch die Zugabe von Fett. „In fettreichen Speisen werden Aromen stärker gebunden als in Wasser, sie erreichen daher den Mundraum und verflüchtigen sich kaum. Daher spricht man bekanntlich auch von Fett als Aromaträger“, beschreibt der Forscher.
Hinzu kommt der Einfluss der Textur auf das Geschmackserlebnis. Ein gutes Beispiel ist die Kruste vom Schweinebraten. Für viele ist dieser erst gelungen, wenn die Kruste schön kross ist. Denn kross besitzt sie nicht nur eine andere Textur, sondern auch ein anderes Aroma als in weicher Form, da es auf unterschiedliche Weise freigesetzt wird. Es sind also viele verschiedene Faktoren, die Einfluss auf das Geschmackserlebnis haben. Aromagruppen geben dabei eine Orientierung, letztendlich ist aber die Kreativität des Kochprofis gefragt.
Es kommt also auf das Zusammenspiel von Schmecken, Riechen und Fühlen an, um ein wahres Geschmackserlebnis hervorzurufen. Das ist Kochen mit allen Sinnen. Probieren Sie es aus: